Gabriele Kaiser-Schanz & Enoh Lienemann: „Den roten Faden bewahren“

Den roten Faden verlieren ist für jeden von uns ein Begriff. Es heißt so viel wie sich verwirren beim Sprechen; vergessen, was man eigentlich sagen wollte; einen logischen Gedankengang plötzlich nicht weiterverfolgen können. Das Ergebnis ist Unsicherheit, Angst, den Faden nicht wieder zu finden.

Gerade im Augenblick hat man immer wieder das Gefühl in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben irgendwo den roten Faden zu verlieren, den eigentlich jeder braucht, um sich irgendwo und irgendwie zu orientieren. Es sind die Lasten des Lebens, die hier in der Ausstellung symbolisch in Pakete zusammengeschnürt liegen, die bis zu einem gewissen Maß und Gewicht auch zum Leben dazu gehören.

Aber nicht erst seit Anfang dieses Jahres werden wir mehr als üblich mit negativen Lasten, d.h. Nachrichten überschüttet, dass man nicht mehr weiß, wo der Weg hinführt. Die Informationsflut ist hoch und die ständigen Ermahnungen vorsichtig zu sein, können vieles zum Erlahmen bringen. Das Gleichgewicht kippt und jeder versucht irgendwo Halt zu finden. Aber wie sieht dieser Halt aus. Also versuchen wir hier in dieser Ausstellung den roten Faden sichtbar zu machen und ihn zu bewahren.

Die Arbeit EXIT 4 von Enoh Lienemann ist eine Installation aus Eisendraht, Hanfkordel und Pakete. Sie sieht instabil aus, kann aber ohne Erschütterungen stabil stehen. Die Beine aus Eisendraht versuchen sich den Gegebenheiten des Bodens und der Umgebung anzupassen, um nicht zu kippen. Sind die Lasten zu schwer, kann es zum Sturz kommen.

Die Installation soll Symbol sein für die Menschen in Angst, auf der Flucht aus einer hoffnungslosen Vergangenheit in eine ungewisse Zukunft. Menschen, von denen man unter anderem etwas aus den Medien erfährt und denen man aber immer häufiger begegnet. Ihre Vergangenheit kennt man aber nicht, denn in der Regel spricht man nicht über sie. Ist es die Angst vor dem Fremden und Unbekannten? Der gestaltenden Kraft von Enoh Lienemann gelingen solche Momente, den Betrachter eintauchen zu lassen in eine fremde Welt, die am Ende die eigene ist.

Enoh Lienemann, in London geboren mit deutsch nigerianischen Wurzeln, beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit, Unfreiheit und Grenzen in Videoinstallationen, Fotografie und Kurzfilm. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit speziell mit dem Verhältnis Europa – Afrika und mit der Frage, welche Auswirkungen räumliche und persönliche Begrenzungen auf die Lebenssituation von Menschen haben.

Enoh Lienmann sagt: „Wir spüren alle Grenzen in uns und wissen nicht was uns im Leben erwartet. Diese Dinge zeigen wir natürlich nicht gerne nach außen, aber sie sind trotzdem in uns. Es gibt immer Situationen in denen wir mit unseren Grenzen konfrontiert sind. Manchmal sogar bis zur Unerträglichkeit. Es ist immer ein Wechsel zwischen Freiheit und Unfreiheit.“

In den Fotoarbeiten ist Absperrband zu erkennen, das zu Begrenzung von Gefahrenstellen benutzt wird. Haben wir diese als unsichtbare Begrenzungen in uns? „Unser eigenes begrenztes Denken können wir in Frage stellen und kontrollieren. Nicht aber das der anderen“, so Enoh Lienemann.

Die Rauminstallation „Was macht ALICIA“ beschäftigt sich mit dem Leben einer jungen Frau bis zu ihrem hohen Alter. ALICIA sucht die ganze Zeit über etwas. Diese Suche ist eine Metapher für Neugierde, Zuversicht und Offenheit. Im Hintergrund zu hören, kocht ALICIA beständig ihr eigenes Süppchen, was in doppeltem Wortsinn verstanden werden will. Alle Gegenstände der Installation erzählen zusammen eine Geschichte. Dauer und Vergänglichkeit werden thematisiert in der Wandarbeit “Haare und Pilze“, sowie in dem Gedicht „Gemüt“ Annettes von Droste-Hülshoff. Für sie waren Schwärmerei, Dauer, Vergänglichkeit und das verwoben sein in Familie, Tradition  und das Ringen darum ihren eigenen Roten Faden nicht zu verlieren ein Lebensthema.

Der Kurzfilm „Fatimas Traum“, der zur Finissage gezeigt wird, will die fließende verlaufenden Grenzen zwischen Wunsch und Realität sichtbar machen, sowie das Spannungsverhältnis zwischen innerer Freiheit und Unfreiheit. Mehr dazu wird nicht verraten.

Mit dem Thema Freiheit – Unfreiheit befasst sich auch Gabriele Kaiser-Schanz, die in München geboren ist.  Nach dem Studium der Bühnengestaltung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz folgte die Ausbildung zur Maskenbildnerin in Köln. 1996 folgte noch ein Studium der Textilen Kunst und Bildnerischen Erziehung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. An der Akademie in Düsseldorf kam noch die Bildhauerei dazu.

Diese Verflechtung aus Bühnenbild, textiler Kunst und Bildhauerei prägen ihr gesamtes Kunstschaffen. Sie möchte sichtbar machen, wie sie sagt, „dass wir uns durch gewisse Ordnungen, die uns vorgegeben werden, anders bewegen. Entscheiden wir selbst oder werden wir von außen gesteuert, durch die Medien beeinflusst? Dies möchte ich in meiner Arbeit analysieren, mir darüber bewusst werden und gleichzeitig diese Fragen an den Betrachter weitergeben.“

Die heute in Essen lebende Künstlerin beschäftigt der Mensch in all seinen Facetten, von der Zellformung bis zur Auseinandersetzung des Individuums mit seinen gesellschaftlichen Normen und Zwängen. Bei den Objekten werden natürliche Materialien benutzt wie handgeschöpftes Hanfpapier wegen der faserigen Oberflächenstruktur, Kleister, aber auch Draht, Acryl, Glas, Sisal, Wachs werden verwendet. Der Prozess des Kaschierens mit den einzelnen Papierteilen führt zu einer textilen Oberfläche, wobei das Hanfpapier zerrissen wird und schichtweise verarbeitet. Wie zum Beispiel die Mühlsteinkrause, eine übergroße Halskrause, die Bestandteil der Kleidung im 16. Jahrhundert war als Abschluss des Kragens.

Ein weiterer Teil ihrer Arbeit sind Objekte, die sich mit dem Thema der Zellen und Zellschichten befassen, dem Ursprung allen Lebens. Dabei arbeitet sie auch hier mit Hanfpapier, Wachs, Acrylgasplatten und einer Heißklebepistole. Die Zellstrukturen werden direkt mit dem Werkzeug auf die unterschiedlichsten Trägermaterialien aufgetragen.

Es kommen auch unterschiedliche bildliche Metaphern in ihren Kunstwerker zum Ausdruck, um die Vielfältigkeit der Schichtungen der menschlichen Existenz transparent und erlebbar zu machen, wie der Titel „Haus-Frau“ oder „mir sitzt was im Nacken“, drei Gipsbüsten mit benähten Holzpüppchen.

Zu sehen ist auch eine Fotoinstallationen mit einem Videostill mit dem Titel „Von Generation zu Generation“.  Die in schwarz-weiß gehaltenen Porträtschnitte sind in Form von transparenten Bildern auf zwei Holzkreise mit jeweils neun Bildern gesteckt und drehbar auf einem Objektsockel präsentiert. Gabriele Kaiser-Schanz sagt: „Die Performance als Medium in Kombination mit meinen Objekten und Videoinstallationen ist das Bindeglied meiner künstlerischen Erfahrung. Aber dahinter interessiert mich immer das Individuum im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen und soziologischen Einflüssen.“

Wie in all ihren Arbeiten geht es immer wieder um Einengung von Körper und Seele, die Beziehung von innen und außen, aber auch um die Mühen und den Kampf, sich diesem zu widersetzen und um den Roten Faden zu bewahren.